Otto Fricke

Persönliche Erklärung zum Tagesordnungspunkt 14 „Finanzielle Entlastung der Kommunen“

- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104a und 143h), BT-Drucksachen 19/20595

- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104a und 143h), BT-Drucksache 19/21752

Das mit diesen Grundgesetzänderungen (BT-Drucksachen 19/20595 und 19/21752) verfolgte Ziel, eine finanzielle Unterstützung für die durch die Corona-Pandemie stark betroffenen Kommunen durch den Bund zu ermöglichen, wird von mir grundsätzlich unterstützt. Im Zusammenhang mit den Maßnahmen zum Infektionsschutz sind sehr vielen Kommunen Gewerbesteuereinnahmen in großem Umfang, aber in unterschiedlicher Weise, verloren gegangen. Bei gleichzeitiger Zunahme der Ausgaben, insbesondere für Sozialleistungen. Hinzu kommt, dass die Kommunen weniger Gebühreneinnahmen haben. Daher bedurfte es einer schnellen Hilfe vor Ende des Jahres, die noch vor Ende des Jahres bei den Kommunen ankommen muss. Insbesondere aus diesen Erwägungen stimme ich gemeinsam mit meiner Fraktion für diese Grundgesetzänderungen, die ohne die Stimmen der FDP nicht zustande kommen können. Dass mir diese Zustimmung schwer fällt, hat jedoch vielfältige verfassungsrechtliche/juristische, haushaltärische und staatsorganisatorische Gründe.

 

1. Bundesauftragsverwaltung

Zur Entlastung der Kommunen sieht der Entwurf zwei Änderungen des Grundgesetzes vor. Zum einen werden dauerhaft weitere 25 Prozent und damit insgesamt bis zu 74 Prozent der Kosten der Unterkunft nach dem SGB II durch den Bund übernommen. Die hier vorgeschlagene Verfassungsänderung des Artikel 104a Absatz 3 Satz 2 GG mit dem Ziel, einen Finanzierungsanteil des Bundes von bis zu 74 Prozent zuzulassen, bevor eine Bundesauftragsverwaltung eintritt, wurde bereits vorab mehrfach durch den Bundesrechnungshof als problematisch und als verfassungssystematisch schwierig kritisiert. Dieser Kritik schließe ich mich an.

Ziel der Bundesauftragsverwaltung ist es, dem Bund, wenn er eine Geldleistung überwiegend finanziert, ausreichende Kontroll- und Eingriffsrechte beim Gesetzesvollzug einzuräumen. Durch die heutige Grundgesetzänderung werden für eine Geldleistung mit einer erheblichen jährlichen Bundesbelastung (der Haushaltsansatz für 2020 beträgt 12,4 Mrd. Euro) diese Möglichkeiten zur Kontrolle einer ordnungsgemäßen und wirtschaftlichen Mittelverwendung umgangen. Vor diesem Hintergrund betrachte ich den dauerhaften Verzicht auf die Bundesauftragsverwaltung als ein fatales Signal auch für künftige weitere Geldleistungsgesetze. Zudem werden die Kontrollrechte des Bundesrechnungshofes künstlich klein gehalten. Die Befürchtung, dass der Anreiz der Kommunen zur Kostenkontrolle bei vereinbarten Mieten weiter sinkt, konnte auch in der Anhörung nicht entkräftet werden. Schließlich sinkt der Druck auf die dringend nötige Gesamtreform der kommunalen Finanzen.

 

2. Gewerbesteuer

Die zweite Verfassungsänderung sieht die zeitlich befristete Einfügung eines Artikels 143h GG vor, mit der die Gewerbesteuermindereinnahmen einmalig anteilig durch den Bund ausgeglichen werden sollen. Die Einführung eines speziellen Absatzes im Grundgesetz für eine einmalige Kompensationszahlung ist jedoch wenig plausibel, jedenfalls verfassungssystematisch fraglich. Ich bin auf die Verfassungsänderung bei den jetzt schon erkennbaren Gewerbesteuerausfällen in 2021 gespannt. Vielmehr hätte man hier, wie schon in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert, den Weg etwa über eine Anhebung des den Kommunen zustehenden Anteils im Bereich der Umsatzsteuer vornehmen können.

Denn der Bund übernimmt seit 2016 vollständig die Kosten der Unterkunft für anerkannte Asyl- und Schutzberechtigte im SGB II. Um hier die Bundesauftragsverwaltung zu vermeiden, wurde in den jeweiligen Gesetzen der über 49 Prozent hinausgehende Anteil des Bundes mittels einer Anhebung des Umsatzsteueranteils der Gemeinden zu Lasten des Bundes weitergegeben, wofür keine Grundgesetzänderung erforderlich war. Eine vergleichbare Lösung wäre hier, wenn auch dieses Mal nur befristet, möglich gewesen. Darüber hinaus ist die Aufnahme einer Einzelfalllösung dem Grundgesetz bisher fremd und erweckt den Eindruck eines Prototyps, etwa für Lösungen im Bereich der sogenannten Altschuldenproblematik, von der der Finanzminister leider nicht endgültig Abstand genommen hat.

 

3. Strategie Kommunalfinanzen

Über die spezifischen Kritikpunkte an den vorliegenden Grundgesetzänderungen hinaus fehlt es zudem an einer langfristigen Lösung für unsere Kommunen. Wir geben nur Schmerzmittel statt den Zahn zu ziehen. Dass über diesen Mitteln kein Segen liegt, sieht man auch an den Reaktionen der Länder und Kommunen. Nach keinem Pflaster und Schmerzmittel der Vergangenheit kamen ein Dankeschön oder Zufriedenheit, sondern weitere Forderungen nach mehr Unterstützung – und das bei einer Aufteilung der Steuereinnahmen von 38,4% Bund, 42,7% Länder, 14,4% Kommunen und 4,5% Europa (Anteil am Gesamtsteueraufkommen, Steuerschätzung September 2020).

Unsere Kommunen brauchen stabile Finanzen durch verlässliche und damit planbare Steuereinnahmen, denn Kommunen sind der erste Kontakt vor Ort und wesentliche Investoren der öffentlichen Hand, selbst wenn die öffentliche Hand weniger als 20% der gesamten Investitionen tätigt.

Der Grund, dass wir diese Gesetze beschließen, ist, dass wir keine verlässlichen Steuereinnahmen haben, denn die Gewerbesteuer unterliegt den konjunkturellen Schwankungen in besonderem Maße. Die Umsatzsteuer hingegen ist über Krisen hinweg seit Jahrzehnten die stabilste Steuer. Aus diesem Grund ist eine Möglichkeit zur dauerhaften Stabilisierung der finanziellen Situation der Kommunen, dass Länder und Bund Mehrwertsteuerpunkte abgeben. Das muss nicht automatisch zu Steuererhöhungen führen. Im Gegenzug, um nicht zu einer gesamtstaatlichen finanziellen Mehrbelastung zu kommen, müssen Länder und Bund Förderprogramme reduzieren. Jedes Förderprogramm verursacht auf beiden Seiten der Förderung Verwaltungs- und Personalkosten, bevor auch nur ein Cent der Förderung abgeflossen ist oder gar ein Euro investiert wurde. Dabei setzt unser subsidiärer Staatsaufbau gerade auf das Wissen vor Ort. Wir müssen unseren Bürgermeisterinnen und Kommunalpolitikern, die die Bedingungen in Städten und Gemeinden am besten kennen, mehr Vertrauen entgegenbringen, statt ihnen sogar zu sagen, wo und wie wir innerstädtische Fahrradschnellwege bauen - obwohl ich sie für eine Innovation halte, wenn die Kommunen sie wollen und benötigen,

Zusätzlich müssen wir uns grundsätzlich auf ein neues Verständnis von Kommunen einigen. Welche Rolle müssen Kommunen in der Verfassungs- und Verwaltungsstruktur der Bundesrepublik einnehmen? Wie können die Strukturen von 1949 noch die Aufgaben des Jahres 2020 lösen? Die Aufgaben und Leistungen der Kommunen haben sich in den letzten fast acht Jahrzehnten wesentlich geändert. Doch hat sich auch ihre Finanzierung wesentlich geändert? Dazu gehört nach meiner Auffassung auch, dass der Bund, wenn er den Kommunen finanziell hilft, direkt mit den Kommunen agieren und kooperieren können muss. Nach derzeitiger Rechtslage wird der Bund zunehmend zu einem vermeintlich reichen Onkel ohne Mitspracherecht darüber, wie die Länder die Mittel weiterleiten. Er bleibt somit zu oft ohne wirklichen Einfluss darauf, dass die Mittel dort ankommen, wo er helfen möchte. Das sollte aber das Ziel sein.